Wien (pts021/11.11.2019/12:15) – Bereits im Jahr 2000 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Strategien gegen die weltweite Zunahme von Antibiotikaresistenzen gefordert und erneuert diesen Appell von Jahr zu Jahr. WHO-Chef Tedros Ghebreyesus will alle Staaten motivieren, eine Balance zwischen der „Gewährleistung des Zugangs zu lebensrettenden Antibiotika“ und einer „Beschränkung einiger Antibiotika auf die am schwierigsten zu behandelnden Infektionen“ zu finden. Ungeachtet dessen ist auch heuer, wie in jedem Herbst, mit einem Ansteigen der Antibiotika-Verschreibungen bei grippalen Infekten zu rechnen.
Obwohl diese Medikamente nachweislich nichts gegen Virusinfektionen ausrichten können und mit potenziellen Nebenwirkungen verbunden sind, werden sie von der Ärzteschaft immer noch sehr häufig verschrieben, vor allem auch, um mögliche Folgeinfektionen und Komplikationen zu verhindern.
Die Phytotherapie bietet verschiedene Möglichkeiten, Virusinfektionen zu begegnen – ohne das Risiko der Resistenzbildung weiter zu unterstützen und mit ausgezeichneter Verträglichkeit.
Anlässlich des Weltantibiotikatages (18. November) veranstaltete die Donau-Universität Krems – Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Medizin und Forschung heute, am 11. November 2019, in Wien ein Pressegespräch. Dabei berichteten heimische ExpertInnen, moderiert von Prim. Assoc. Prof. Dr. Andrea Zauner-Dungl , über den aktuellen Wissensstand und wichtige Initiativen zur Implementierung von evidenzbasierter Phytotherapie.
Unterstützung für die Reifung des kindlichen Immunsystems
„Gerade bei Kindern und Jugendlichen zählen zu den häufigsten Infekten jene der Atemwege. Diese entzündlichen Veränderungen im Bereich des Respirationstraktes lassen sich in den meisten Fällen auf Infektionen durch Viren zurückführen“, betonte Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Kaulfersch , Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, e.m. Vorstand der Abt. für Kinder- und Jugendheilkunde im Landesklinikum Klagenfurt.
Im Säuglings- und Kleinkindalter werden aufgrund des unreifen Immunsystems nicht selten bis zu acht Infekte pro Jahr durchgemacht. Aufgrund der dominierenden viralen Genese der Erkrankungen ist eine Therapie mit Antibiotika in den meisten Fällen nicht sinnvoll – nämlich ausschließlich dann, wenn eine primäre oder sekundäre bakterielle Infektion (sogenannte bakterielle Superinfektion) vorliegt.
Eine aktuelle Metaanalyse von vier Studien bei insgesamt 1.314 Kindern bis zu fünf Jahren mit Infekt der oberen Atemwege belegt eindrucksvoll, dass die Verwendung von Antibiotika keinen vorbeugenden Schutz vor der Entstehung einer Mittelohrentzündung oder Lungenentzündung bietet (Galvã MG et al. Cochrane Database Syst Rev. 2016 Feb 29;2:CD007880. doi: 10.1002/14651858.CD007880.pub3).
Zu den sinnvollen Schritten einer Verhinderung von Infekten zählen zum Beispiel vier Monate zu stillen, nicht in der Gegenwart von Kindern zu rauchen und entsprechende Schutzimpfungen durchzuführen.
„Bei auftretendem Infekt ist der Einsatz antimikrobiell wirksamer Heilpflanzen begrüßenswert“, so Prim. Kaulfersch. Dank ihrer Vielstoffgemische weisen sie eine Multitargetwirkung auf, welche zu einer deutlich geringeren Resistenzentwicklung führt. Außerdem wird der Körper in seinen Regulationsmechanismen unterstützt, Symptome viraler Infekte rascher bekämpft und so eine verbesserte Genesung erzielt.
Phytopharmaka mit guter Evidenz
„Gut geprüfte, evidenzbasierte Phytopharmaka haben ihren festen Platz im Arzneimittelsortiment, denn sie wirken zuverlässig und nicht zufällig“, erläuterte Univ.-Prof.i.R. Mag. pharm. Dr.Dr.h.c. Brigitte Kopp , Vizepräsidentin der HMPPA, Department für Pharmakognosie, Universität Wien. Wirksamkeit und Sicherheitsaspekte werden in zahlreichen klinischen, randomisierten und placebokontrollierten Studien wissenschaftlich geprüft.
Im Falle von Atemwegserkrankungen sind insbesondere antibakterielle, antivirale, sekretomotorische und sekretolytische (d.h. schleimverflüssigende) sowie immunmodulatorische Effekte relevant. Bewährte Arzneipflanzen gegen Atemwegsinfekte sind beispielsweise Eisenkraut (Verbena officinalis), Sauerampfer (Rumex alpinus), Schlüsselblume (Primula veris), Gelber Enzian (Gentiana lutea) sowie Holunder (Sambucus nigra). Ein Trockenextrakt aus diesen fünf Pflanzen hat sich bei akuter Rhinosinusitis als wirksam erwiesen. Damit hat erstmals ein pflanzliches Arzneimittel in einer nach EPOS-Guidelines durchgeführten Studie die höchste Evidenzstufe der Schulmedizin erreicht.
Eine sehr gut untersuchte Heilpflanze zur Behandlung von akuten Infekten der oberen Atemwege ist die afrikanische Kaplandpelargonie (Pelargonium sidoides), deren Wurzelextrakt EPs® 7630 in einem großen klinischen Studienprogramm unter anderem auch bei Kindern geprüft wurde.
Wichtig ist in jedem Fall der frühzeitige Einsatz der Phytopharmaka, aber auch die Beachtung gewisser Anwendungsbeschränkungen. „Vor allem bei anhaltendem Fieber, Atemnot, Kopfschmerzen oder Nackensteifigkeit sollte der Arzt eingeschaltet werden“, warnte Prof. Kopp.
EU-Projekt „Healthy herbs“
„Phytotherapie braucht neue Wege, die mit einer adäquaten Aus- und Weiterbildung auf diesem Gebiet beginnen“, erklärt PhDr. Dr. Christine Schauhuber , stellvertretende Leiterin des Zentrums für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und Komplementärmedizin an der Donau-Universität Krems.
Derartige Wege werden mit dem geförderten Erasmus-K2-Bildungsprojekt „Healthy Herbs – Phytotherapie im Atemwegsbereich als Strategie zur Vermeidung von Antibiotikaresistenzen“ erstmals unter der Führung des Zentrums für Traditionelle Chinesische Medizin mit erfahrenen Partnern auf internationaler und interdisziplinärer Ebene beschritten.
Dabei wird Wissen eines biophilen Konstruktes in moderne Bildungskonzepte umgesetzt: interdisziplinär, multilateral und digital on demand verfügbar. „Damit entsteht ein Projekt, das die UN-Agenda in Übereinstimmung mit den Gesundheitszielen Österreich innovativ umsetzt“, resümierte Dr. Schauhuber.
Universitätslehrgang „Evidenzbasierte Phytotherapie in praktischer Anwendung“
Die Donau-Universität Krems bietet ab Frühjahr 2020 ein Certified Program für Phytotherapie mit 140 Unterrichtseinheiten an. „Der Universitätslehrgang richtet sich vorrangig an Ärzte für Allgemeinmedizin, aber auch alle anderen Mitglieder der Ärzteschaft und Pharmazie“, berichtet Mag. pharm. Claudia Dungl-Hochleitner, MSc , Lehrgangsleitung „Natural Medicine“, Zentrum für TCM und Komplementärmedizin, Donau-Universität Krems, Fakultät für Gesundheit und Medizin.
Der Schwerpunkt der Weiterbildung liegt auf dem Gebiet der Traditionellen Europäischen Medizin (TEM) zu den unterschiedlichen Indikationsbereichen. Spezifische Fachgebiete wie Pharmakognosie, Rezepturenlehre und deren praktische Anwendung, aber auch die qualitative Beurteilung der Zusammensetzung und Wirksamkeit verschiedenster Darreichungsformen, ihre Dosierung sowie mögliche Interaktionen und Nebenwirkungen stehen im Fokus. Der interdisziplinäre Vergleich europäischer Heilpflanzen mit jenen der TCM rundet den breiten Zugang zur therapeutischen Verwendung ab.
„Ärzte und Pharmazeuten vermitteln den aktuellen Wissensstand der Heilpflanzenkunde, wobei auch im Rahmen von praktischen Übungen und Exkursionen der praxisnahe Zugang zu einer traditionellen, aber wissenschaftsbasierten Behandlungsform geboten wird“, so Mag. Dungl-Hochleitner.
Pressemappe der Pressekonferenz am 14. Jänner 2019: https://hpr.itshare.at/index.php/s/eYzZn2zXmD66CFT
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